„Was ist dein Plan?“

„Wir gehen da rein, legen sie um, und gehen wieder raus.“

„Genial!“

 

Altbewährte Vorgehensweise


Was geht ab?

Rage... ist schwarz-weiß!

Der Tradition der Unkompliziertheit zahlreicher Westernfilme folgend, ist auch das Geschehen bei Rage... konzipiert. Gut und Böse ist klar getrennt und einfach zu unterscheiden. Die Pistolen schwingenden Banditen zu Pferd sind durch Gangs auf Bikes oder getunte Autos ersetzt, der intrigante Viehbaron durch den Konzernchef. Nur das gemeine Volk hat sich nicht wirklich verändert: Ist die Geschichte ausgestanden und der einsame Rächer ist seinen Weg gegangen, steckt es den Kopf aus dem Fenster.

Die Spannung entsteht nicht aus kompliziertem Drumherum, aus völlig neuen Welten, aus mehrere Bücher umfassende Hintergründe. Die Spannung steckt in der Einfachheit, der Brutalität, dem Durchsetzen der Werte.

Der Lonesome Ranger ist jetzt ein Mutant. Er ist anders, er gehört nicht zum gemeinen Volk, ist aber trotzdem damit verbunden. Er ist kein Gangster, hat aber dennoch deren Fähigkeiten. Gesteigert. Um ein Vielfaches.

Er ist zerrissen. Er gehört zu niemandem. Er ist allein. Und glaubt, sich für die Schwachen einsetzen zu müssen. Obwohl er sie verachtet.

 

Umgeben ist diese geradlinige Struktur von einem komplexen Hintergrund.

Die Menschheit wurde gezielt vom eigentlichen Leben abgelenkt, dumm gehalten, entmündigt.

Dann lösten sich die Staaten auf und die längst herrschende Plutokratie offenbarte sich.

Das dummgehaltene Schlachtvieh organisierte sich zu Banden oder blieb allein und hielt am Weg der Arbeit fest. Da sich aber zur sozialen Inkompetenz auch noch fachliches Unwissen in einer hochautomatisierten Welt gesellte, blieben nur noch völlig unterbezahlte Knochen- und Handlangerjobs.

Die meisten sind bereit, für so einen Job zu töten.

Letztlich arbeiten sie alle mehr oder weniger für die Konzerne. Selbst die Gangs, oftmals ohne dass sie es überhaupt wissen!

Doch all das ist nur eine Übergangsform.

Am Ende wird es nur noch den Konzern und das demütige Volk geben.

Es sei denn, die Mutanten können dies verhindern.

 

Die Welt ist im Wandel!

Doch sie bleibt schlecht. Sie war es immer. Sie wird es immer sein.

Wandel ist nichts anderes als eine Änderung der Schale um den stets gleichbleibenden Kern.

Wandel ist eine Illusion. Nichts ist so wahrhaftig wie der Kern.

Und der Kern ist faul. Der Kern ist Korruption. Der Kern ist Macht. Der Kern ist Untergang der Wahrhaftigkeit.

In allen Zeiten war der Kern der gleiche.

Es ist und bleibt immer das gleiche Spiel.

Die Protagonisten ändern sich. Und bleiben doch immer die gleichen.

Die Antagonisten ändern sich. Und bleiben doch immer die gleichen.

Das Spiel ändert sich. Und bleibt doch immer gleich.

 

Pantheus, Theaterschauspieler 2078


Der alte Gangster

Der alte Mann schwankte eilig durch die Gasse. Die Luft war gelblich und einige Schneeflocken, die eher schwarzem Ruß glichen, fielen langsam herab. Ein paar Ratten tummelten sich im Unrat, der die Straße flutete und einige Leichen lagen quer übern Weg verteilt, nackt und verstümmelt. Man hatte ihnen nichts gelassen, was man irgendwie noch brauchen könnte.

Also alles so wie immer.

Die Straße hatte ihre Regeln und der alte Mann kannte sie nur all zu gut.

 

Schwer atmend blieb er vor einer alten Holztür stehen und hämmerte wie wild auf sie ein, die grauen Haare schweißverklebt im Gesicht, der Blick wirr. Als sie sich nicht sofort öffnete, begann er erneut zu hämmern, noch eindringlicher als zuvor. Das Atmen ging in ein Rasseln über, das Rasseln in ein Pfeifen. Hinter der Tür erklangen Geräusche. Mehrere Schlösser wurden entriegelt, Ketten entspannt. Dann ging langsam die Tür auf und eine doppelläufige Schrotflinte drückte sich ins Gesicht des alten Mannes.

Hör auf mit dem Scheiß und lass mich rein, Schwachkopf“, zischte der Alte und schob sich unbeeindruckt ins Innere. Der Typ mit der Schrotflinte grinste dümmlich und verrammelte wieder die Tür. Sein Outfit bestand aus einer zerschlissenen Buntfaltenhose, einem schweißbeflecktem, bis zum Bersten gespannten Unterhemd über einen schmierigem Bauch und ausgelatschten Sandalen.

„Hank, was willst du hier? Ich hab geschlossen“, flüsterte er und wischte sich mit der Hand über seine Halbglatze. Er schien froh zu sein, dass die Tür wieder dicht war.

„Geschlossen, klar. Seit wann hast du Öffnungszeiten, Schwachkopf?“, sagte Hank und sah sich um. Sie standen in einer kleinen, schmutzigen Halle, die außer der Holztür nur noch einen weiteren Ausgang aufwies, eine türlose Öffnung ins Dunkel. Das Flackern des Neonlichts spiegelte sich in den zahllosen Pfützen, welche dem löchrigen Dach verschuldet waren. Sechs Holzstühle standen an der Längswand gegenüber der Eingangstür und über ihnen baumelten Sauerstoffmasken, die jeweils über einen langen Schlauch mit einem Kupferrohr an der Decke verbunden waren. Hank lief breitbeinig zum nächstgelegenen Stuhl in der Mitte und ließ sich schnaufend nieder.

„Kannst du überhaupt zahlen?“

„Hab ich etwa jemals nicht bezahlt, Schwachkopf? Nun stell schon endlich das Ding an“, drängte Hank und zog sich die Maske übers Gesicht. Schwachkopf lief zum Kupferrohr, welches von der Decke herab an der Wand entlanglief und drehte an einem schweren Rad. Lautes Dröhnen und Blubbergeräusche verrieten, das Sauerstoff durch die Röhre schoss. Hank fingerte an einem kleinen Schalter an der Maske und atmete gierig die frische Luft ein.

„Weißt du, Schwachkopf, früher hat die Luft überall so geschmeckt, wie diese hier. Da brauchte man sie noch nicht zu kaufen“, witzelte Hank und begann zu husten und schluckte dabei das Blut runter, dass sich in seinen Lungen bildete.

„Ja ja, Alter. Ich kenn die Geschichte. Hast sie mir hundert mal erzählt. Wie alt bist du noch mal?“

„Bin neunundsiebzig Jahre alt. So alt wirst du nie werden“, nuschelte Hank durch seine Maske und nahm einen tiefen Zug.

„Bist der älteste Typ, den ich kenne, Mann“, sagte Schwachkopf und lehnte sich in die Türöffnung zum Nachbarraum und starrte in die Dunkelheit. „Früher, da bin ich durch Wälder gelaufen“, erzählte Hank unbeirrt weiter, “und habe Tiere gesehen. Echte, lebende Tiere. Und ich meine nicht Ratten oder Hunde oder so. Ich rede hier von Rehe und Igel und Vögel. Mein Gott, Vögel...“

Hank sah nach oben ins Neonlicht, doch das was er sah, waren Dinge, die es jetzt nicht mehr gab. Tränen stiegen in seine Augen. „Hast du jemals den Gesang eines Vogels vernommen, Schwachkopf? Ich sage dir, du hast noch nie gelebt. Wie alt bist du? Dreißig? Vierzig? Man kann euch heute gar nicht mehr schätzen, so früh seid ihr alt und verbraucht.“

„Ja ja“, raunte Schwachkopf, der gar nicht mehr hinhörte, was der Alte für einen Unsinn von sich gab und schaute auf seine Armbanduhr. Noch zwei Minuten Frischluft, dann wäre Hanks Zeit abgelaufen.

„Damals, da haben wir Pilze gesammelt. Und wir sind schwimmen gegangen. In einem See – und der war sauber. Und Erdbeeren haben wir gepflückt. Und Äpfel.“

Hank begann wieder zu husten. Stärker als zuvor. Ein Schwall Blut lag in seinem Mund. Wieder starrte er auf die Neonlampen.

„Und dieses Licht. Weißt du? Es war anders. Wenn man durch die Bäume sah und das Licht der Sonne zwischen ihnen trat. Es war so...“

 

Schwachkopf stand noch immer in der Türöffnung. Es war so ruhig geworden und er hatte die Zeit vergessen. Er schielte zur Armbanduhr. „Scheiße, fast drei Minuten drüber. Gibt´s doch gar nicht.“ Eilig hastete er zum Rad der Sauerstoffzufuhr und drehte es zu. Das Zischen der Luftzufuhr verebbte.

„Das sollte ich eigentlich bezahlt nehmen“, sagte er und schaute erst jetzt in Hanks Richtung.

 

Hanks Leichnam saß noch immer auf dem Stuhl, der Körper zurückgelehnt, der Kopf nach links in Schräglage.

Blut rann aus der Maske über sein Kinn, tropfte zu Boden.

Ein Lächeln stand in seinem Gesicht.